Baugeschichte der „Kolonie“

Baugeschichte der „Kolonie“

1884 hatte Schiefbahn nur noch 2 980 Einwohner. Das Dorf war geschrumpft, weil viele ehemalige Hausweber in den Städten nach neuer Arbeit suchten. Der Niedergang der Ortschaft schien besiegelt.

Dem weitsichtigen Bürgermeister Kaspar Voß haben die Schiefbahner zu verdanken, dass dann alles anders wurde. Ihm gelang es, die Krefelder Fabrikanten Wilhelm Deuß und Albert Oetker dazu zu bewegen, in Niederheide eine große Seidenweberei zu errichten – mit dem damals größten mechanischen Websaal im gesamten deutschen Reich.

 Dr. Helmut Fellinger präsentiert sein Sachbuch über die „Kolonie“.
Dr. Helmut Fellinger präsentiert sein Sachbuch über die „Kolonie“. Foto: Schütz

Mit der Fabrik hielt nicht nur bescheidener Wohlstand Einzug in Schiefbahn, sondern es entstand in direkter Nähe zu dem Fabrikgelände auch eine Arbeitersiedlung, von den Schiefbahner teils spöttisch, teils liebevoll die „Kolonie“ genannt. Dr. Helmut Fellinger, Jurist im Ruhestand und Archivar des Heimat- und Geschichtsvereins Willich, hat die Geschichte der „Kolonie“ aufgearbeitet.

Da auch der Nachfolger der Seidenweberei Deus & Oetker, die Verseidag, schon seit Jahren nicht mehr existiert und das Firmenarchiv aufgelöst wurde, musste er in mühevoller Kleinarbeit auf Spurensuche gehen. Vor allem im Kreisarchiv in Kempen wurde er fündig. Details, die das Bild vervollständigten, fand er dann auch in den Stadtarchiven von Viersen, Willich und Krefeld.

Das Ergebnis seiner Recherchen hat er in dem Buch „Die Kolonie – Entstehung und Geschichte der Wohnsiedlung der Fa. Deuß & Oetker in Schiefbahn“ zusammengefasst. Detailliert wird der Briefverkehr zwischen den Fabrikanten und dem Schiefbahner Bürgermeister wiedergegeben. Die Baugeschichte der Siedlung, die aus verschiedenen Haustypen besteht, wird anhand von Bauanträgen, Skizzen und Blaupausen dokumentiert, die jeden Baufortschritt aufzeigen.

So erfährt man, dass sich die Fabrikanten den Bau der Seidenweberei mit Preisnachlässen beim Grunderwerb und zehnjähriger Steuerfreiheit „honorieren“ ließen. Dass während für die Arbeiter von 1889 bis 1901 über 100 ein- und zweistöckige Doppelhäuser gebaut wurden, Albert Oetker auch seine Villa (der Bauantrag wurde innerhalb von vier Tagen positiv beschieden), ein Gärtner- und Kutscherhaus sowie ein Gesellschaftshaus mit Gaststätte bauen ließ. Die „Kolonie“ bildete also mit der Fabrik und dem Oetker-Anwesen eine kleine Welt für sich. Und in der herrschte Ordnung. So war es den Mietern der Häuser verboten, Hühner frei laufen zu lassen und Wäsche in die Fenster zur Straße zu hängen. Sogar Gardinen waren Pflicht. Und jährlich mussten Wände und Decken gekälkt, Türen und Fenster angestrichen und Fußböden geölt werden. Dafür war die Miete preiswert, um die Arbeiter an die Fabrik zu binden. 1904 arbeiteten in der Seidenweberei 967 Menschen. Schiefbahn war im Aufwind, hatte schon Elektrizität und eine Straßenbahn kam 1910 dazu.

(StadtSpiegel)